Herzinfarkt: Der umfassende Ratgeber für Angehörige
Ein Herzinfarkt kündigt sich meist durch verschiedene Symptome einige Tage oder Wochen vorher an. Die Anzeichen werden meist nicht als solche erkannt. Deshalb überrascht der Herzinfarkt die Betroffenen und ihre Angehörigen. Die Familie muss sich nun einer neuen Realität stellen und ein Leben mit den Folgen der Erkrankung führen.
Dieser Ratgeber stellt Ihnen als Angehörige von Herzinfarkt-Betroffenen verständlich und umfassend alle wichtigen Informationen zur Verfügung. Er zeigt Ihnen seriöse Quellen auf, über die Sie sich bei Bedarf noch detaillierter informieren oder mit anderen Angehörigen vernetzen können. Wir möchten, dass Sie Zeit für sich und Ihre Angehörigen gewinnen, anstatt auf sich alleine gestellt im Internet zu recherchieren.
Hinweis:
Wir haben die Informationen in diesem Ratgeber sorgfältig und nach bestem Wissen zusammengestellt. Der Ratgeber kann eine Beratung durch medizinisches Fachpersonal ergänzen, jedoch nicht ersetzen.
Inhaltsverzeichnis
Was genau passiert bei einem Herzinfarkt?
In der Medizin heißt der Herzinfarkt auch Myokardinfarkt. Myokard ist der lateinische Begriff für Herzmuskel. Der Herzmuskel ist ein Hohlmuskel, der durch Kontraktion (Zusammenziehen) das Blut durch den Kreislauf pumpt. Mit dem Blut gelangt unter anderem lebenswichtiger Sauerstoff in die Körperzellen.
Während eines Infarkts sterben Bereiche des Herzmuskels ab oder werden zumindest beschädigt, weil sie nicht mehr oder nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden. Der Grund: Ein Verschluss von Arterien, die das Herz versorgen. Diese Blutgefäße heißen in der Medizin Koronararterien.
Frühe Anzeichen und akute Symptome erkennen und richtig einordnen
Laut dem statistischen Bundesamt sterben in Deutschland die meisten Menschen an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, also an Herzinfarkt oder Schlaganfall. Trotzdem kennen nur wenige Personen die Vorwarnzeichen. Sollten Sie oder Ihr erkranktes Familienmitglied diese Warnzeichen ebenfalls nicht erkannt oder nicht richtig eingeschätzt haben, sind Sie damit nicht alleine.
Falls Sie sich deshalb Vorwürfe machen, versuchen Sie, sich so gut wie möglich davon zu distanzieren. Der Alltag fordert oft genug die volle Aufmerksamkeit, Sie können nicht alles im Blick haben. Vielleicht hat auch der Betroffene nicht über die Beschwerden gesprochen. Dann können Sie die Anzeichen nicht rechtzeitig erkennen.
Tipp:
Sie brauchen Ihre Kraft für das Hier und Jetzt. Wenn Sie merken, dass Sie sich gedanklich in Vorwürfe verstricken, sagen Sie sich innerlich „Stopp“ und lenken Sie die Aufmerksamkeit bewusst auf andere, möglichst positive Dinge.
Frühe Anzeichen Herzinfarkt:
- Koronare Herzerkrankung, also Verkalkung der Herzkranzgefäße, die das Herz versorgen.
- Plötzlich auftretende Schlafstörungen
- Kurzfristige depressive Verstimmung
- Nachlassende Leistungsfähigkeit, Erschöpfung
Akute Symptome Herzinfarkt:
- Schmerzen hinter dem Brustbein, die unter Umständen in andere Körperregionen ausstrahlen. Dazu zählen Arme, Schulterblätter, Rücken, Hals und Kieferbereich.
- Brustschmerzen und Atemnot in Ruhe sind höchste Alarmzeichen. Sie weisen auf eine Angina Pectoris, eine Brustenge hin, die jederzeit zu einem Infarkt führen kann.
- Brennen im Brustbereich
- Kalter Schweiß und blasses Erscheinungsbild
- Magenbeschwerden wie Übelkeit und Erbrechen
Frauen trifft ein Myokardinfarkt meist im fortgeschrittenen Alter, etwa zehn Jahre nach der Menopause. Der Grund: Östrogen wirkt der Arterienverkalkung entgegen und schützt so vor einer koronaren Herzerkrankung. Als eine weitere geschlechtsspezifische Besonderheit gilt, dass der als typisch für einen Infarkt geltende starke Brustschmerz bei Patientinnen weniger schwer ausgeprägt ist. Sie deuten ihre Beschwerden daher als Magenverstimmung oder Stresssymptom und verlieren damit wertvolle Zeit.
Die frühen Warnzeichen können unabhängig von einem Infarkt auftreten. Deshalb ist es empfehlenswert, solche Beschwerden schnellstmöglich ärztlich abklären zu lassen. Idealerweise nutzen Sie das kostenlose Angebot der Krankenkassen und lassen ab Ihrem 35. Lebensjahr regelmäßig einen Gesundheits-Check beim Hausarzt durchführen. Achten Sie zudem auf eine gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung und pflegen Sie Ihre Freundschaften und Hobbys. Diese Tipps gelten auch für Sie als Angehörige, während Sie sich um die Gesundheit des Herzinfarkt-Patienten sorgen und die Rückkehr nach der Klinik organisieren.
Therapie des Myokardinfarkts: jede Minute zählt
Die Akutbehandlung beginnt mit dem Eintreffen des Notarztes oder der Notärztin. Je nach Bedarf leiten Sie folgende Therapien ein:
- Schmerzstillende Medikamente bei starkem Brustschmerz
- Nitroglyzerin, um die Gefäße zu erweitern
- Acetylsalicylsäure (ASS), um die Bildung weiterer Blutgerinnsel zu verhindern
- Sauerstoffgabe
- beruhigende, Angst-lösende Medikamente zur Entlastung des Herzens
Im Krankenhaus wird schnellstmöglich versucht, die verstopften Gefäße wieder zu öffnen. Hier kommt ein Herzkatheter zum Einsatz. Der Katheter ist ein dünner Schlauch, der durch die betroffene Arterie in Richtung des Herzens geschoben wird. Dieser Prozess wird unter Betäubung durchgeführt und via Röntgengerät überwacht. Sobald der Katheter die verengte Stelle erreicht, kann die Engstelle mit einer Ballondilatation geweitet werden. Um die Stelle langfristig durchlässig zu halten, können die Behandler einen Stent, ein röhrenförmiges Metallgitter, einsetzen. Ist das Blutgefäß an der betroffenen Stelle nicht mehr zu öffnen, verlegen die Ärzt:innen einen Bypass, also eine Umgehung des Gefäßverschlusses. Dafür ist jedoch eine Operation unter Vollnarkose notwendig.
Myokardinfarkt: Folgen und weitere Therapie
Der sogenannte leichte Herzinfarkt zieht meist weniger schwere Folgen nach sich und die Betroffenen erholen sich rasch. Bei einem schweren Infarkt können Herzrhythmusstörungen oder eine Herzschwäche, auch Insuffizienz genannt, auftreten. Je nach Schwere des Myokardinfarkts wird eine entsprechende kardiologische Rehabilitation empfohlen. Sie kann ambulant oder stationär stattfinden.
Das können Sie tun: Sprechen Sie die behandelnden Ärzt:innen so früh wie möglich auf eine Reha-Maßnahme an, denn es dauert erfahrungsgemäß etwa drei Wochen, bis der Antrag bearbeitet ist. Bei der Antragstellung unterstützt Sie der Sozialdienst des Akutkrankenhauses. Sie können sich bereits im Vorfeld eine Reha-Klinik aussuchen und sie als Wunsch im Antrag angeben. Die Kosten für die Maßnahme übernimmt entweder die Krankenkasse oder der Rentenversicherungsträger. Darüber müssen Sie sich jedoch nicht den Kopf zerbrechen. Die Kostenträger regeln die Zuständigkeit unter sich, die Kosten werden in jedem Fall übernommen.
Die Rehabilitation soll Betroffenen helfen, ihr Leben nach dem Infarkt so zu gestalten, dass sie ein Maximum an Leistungsfähigkeit und Lebensqualität zurückgewinnen und gleichzeitig gesund bleiben. Sie ist also mehr als ein bisschen Radfahren und Spazierengehen.
Das können Sie tun:
Ermutigen Sie Ihren Angehörigen, die Reha-Maßnahme ernst zu nehmen und sich darauf einzulassen. Falls sich der Reha-Beginn verzögert und der Patient oder die Patientin einige Tage zuhause verbringt, erkundigen Sie sich in schweren Fällen beim Sozialdienst der Klinik nach einer kurzfristigen, ambulanten Pflegekraft. Ansonsten hilft auch das Pflegepersonal bei Fragen zur Belastbarkeit im Alltag.
Psychische Folgen – nicht zu unterschätzen
Ein Herzinfarkt belastet nicht nur den Körper, auch die Psyche muss dieses Erlebnis verkraften. Einige Betroffene brauchen neuen Lebensmut, andere müssen lernen, sich selbst zu zügeln. Die Patient:innen lernen, Stressbelastungen zu erkennen Stress zu reduzieren und sich aktiv zu entspannen. Die Reha-Behandlung umfasst daher auch psychotherapeutische Angebote.
Das können Sie tun:
Sprechen Sie so offen wie möglich und gleichzeitig achtsam über die Erkrankung. Es gilt, den Herzinfarkt als Teil des Lebens zu akzeptieren und ihn nicht kleinzureden. Diese Akzeptanz ist die Basis für die notwendigen Veränderungen im Lebensstil. Vielleicht möchten auch Sie als Angehörige mit anderen Angehörigen oder Betroffenen sprechen? Eine Übersicht regionaler Selbsthilfegruppen finden Sie hier.
Während der Reha: Vorbereitungen für die Rückkehr treffen
Natürlich überlegen Sie, wie der Alltag für den Patienten nach der Reha in den eigenen vier Wänden weitergehen kann – egal ob Sie gemeinsam wohnen oder der Betroffene dort alleine lebt.
Gemeinsam den neuen Alltag meistern
Auch nach leichten Infarkten müssen Sie Ihren gemeinsamen Alltag umstrukturieren: Es gilt, Medikamente pünktlich einzunehmen, Kontrolltermine zu vereinbaren, ausreichend Bewegung in den Tag zu integrieren und die Ernährung umzustellen.
Klar ist: Sie müssen vor der Rückkehr keine Angst haben. Die moderne Medizin sorgt dafür, dass Ihr Angehöriger gesundheitlich jetzt stabiler ist als vor dem Infarkt. Außerdem lernen Betroffene in der Reha ihre Leistungsgrenzen kennen und wissen, was sie sich zumuten dürfen. Wollen die Patienten wieder ins Berufsleben zurückkehren, kann es je nach Arbeitsplatz zwei bis sechs Wochen dauern, bis der Wiedereinstieg möglich ist. Die behandelnden Ärzt:innen geben Ihnen entsprechende Hinweise.
In manchen Fällen kann eine Umschulung notwendig sein, etwa wenn der Betroffene im Beruf großer körperlicher oder starker psychischer Belastung ausgesetzt ist. Der behandelnde Arzt und die Agentur für Arbeit stehen für eine Beratung zur Verfügung. Das gilt auch, wenn die Folgen des Infarkts den Patienten so beeinträchtigen, dass eine Vollzeitbeschäftigung nicht mehr möglich erscheint. Die Rentenversicherung kann in solchen Fällen mit einer teilweisen oder vollen Erwerbsminderungsrente den finanziellen Ausfall etwas abmildern. Die Antragsstellung dauert oft Monate und kostet Betroffene oft viel Energie. Der Sozialverband VDK mit seinen regionalen Gruppen unterstützt Sie umfassend in diesen Belangen und vertritt Sie bei Bedarf vor dem Sozialgericht.
Das können Sie tun:
Ermutigen und Motivieren Sie Ihre Angehörige und holen Sie sich bei Bedarf selbst Unterstützung. Größere Veränderungen kosten Kraft – setzen Sie weder sich noch den Betroffenen unter Druck und nehmen Sie sich gemeinsam die Zeit, die Sie benötigen. Das ist der schnellste und sicherste Weg zurück ins Leben.
Technische Unterstützung
Besonders für ältere Menschen, die mit den Folgen eines Infarkts kämpfen und alleine leben, bietet die moderne Technik hilfreiche Lösungen. Mit der sogenannten AAL, der Ambient Assisted Living, können Patient:innen nach der Rehabilitation schneller wieder selbstständig leben.
Die Technik ist kein Heilmittel, doch sie erleichtert den Alltag, etwa indem sie Fenster und Jalousien per Sprachbefehl öffnet und schließt, oder die Beleuchtung flexibel über eine App gesteuert wird. Sie können im intelligente Zuhause auch Funktionen integrieren, die Sie als Angehörige entlasten: Kann der Herzpatient aufgrund einer Schwäche nicht aufstehen oder droht ein erneuter Infarkt, kann er zum Beispiel via Amazon Echo einen Notruf absetzen oder einen Verwandten anrufen, ohne aufzustehen. Die Drop-in Funktion ermöglicht es Ihnen, jederzeit über den Sprachassistenten mit Ihrem Angehörigen in Kontakt zu treten, ohne dass er oder sie das Telefon bedienen muss.
Nicht alle Senioren stehen der modernen Technik offen gegenüber. Die Aussicht auf ein weitgehend selbstständiges und sicheres Leben in der gewohnten Umgebung reduziert erfahrungsgemäß diese Vorbehalte. Wir von wieder-ich-sein beraten Sie gerne ausführlich und umfassend, damit Sie die passende Lösung für sich und Ihren Angehörigen finden. Weitere Informationen erhalten Sie auch hier auf unserer Website.
Das können Sie tun:
Sie kennen Ihren Verwandten am besten und wissen, wie erfahren er oder sie im Umgang mit digitaler Technik bereits ist und welche Hilfen wirklich nützen und nicht überfordern. Oft erzielt ein schrittweises Ausprobieren und Herantasten die größten Erfolge.
Auch in dieser Situation gilt: Sprechen Sie möglichst offen miteinander. Teilen Sie dem Betroffenen Ihre Ängste und Sorgen ehrlich mit und stehen Sie zu Ihren eigenen Grenzen. Auch Angehörige von Herzinfarkt-Patient:innen müssen ihr Leben weiterführen und verfügen nicht endlos über Zeit und Energie. Dass der erkrankte Angehörige das manchmal vergisst ist normal. Versuchen Sie, möglichst ruhig und respektvoll miteinander zu reden. Sollte das aus irgendeinem Grund nicht möglich sein, versuchen Sie Folgendes: Nutzen Sie regionale Beratungsangebote und lassen Sie sich einfach, wirksame Gesprächstechniken zeigen oder besprechen Sie schwierige Themen im Beisein eines Arztes oder einer Ärztin Ihres Vertrauens.
Wir, die Mitarbeiter:innen von WIEDER ICH SEIN, wünschen Ihnen viel Kraft und Erfolg auf Ihrem Weg.
Quellen:
- neue Definition von 2018: https://www.kardiologie.org/leitlinien/akutes-koronarsyndrom/neue-herzinfarkt-definition-in-der-alltagsroutine—darum-hilft-/17746044
- Todesursachen 2022 (Statistisches Bundesamt): https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/_inhalt.html
- allgemeine Informationen: https://www.herzstiftung.de/