Schlaganfall: Der ultimative Ratgeber für Angehörige
Ein Schlaganfall stellt das Leben des Betroffenen und das der Menschen in seinem Umfeld innerhalb weniger Augenblicke auf den Kopf. In den meisten Fällen trifft er die Patienten wie aus heiterem Himmel – mit weitreichenden Folgen.
Laut Robert-Koch-Institut sind Schlaganfälle, auch Hirninfarkt genannt, weltweit für jeden zweiten Todesfall verantwortlich. Durch einen solchen Infarkt entstehen schwere Verletzungen im Gehirn, die als wichtigste Auslöser für Behinderungen im Erwachsenenalter gelten. Schlaganfälle zu den Herz-Kreislauf-Erkrankungen und treten als Hirninfarkt oder Hirnblutung auf:
Der Hirninfarkt
Beim Hirninfarkt, der auch ischämischer Schlaganfall heißt, kommt es zu einer verminderten Durchblutung oder einem vollständigen Gefäßverschluss. Solche Thrombosen entstehen entweder durch einen wandernden Blutpfropfen, der zum Beispiel in der Halsschlagader entstanden ist und eine Hirnarterie verstopft. Genauso kann sich durch Arterienverkalkung in den Hals- oder Hirngefäßen ein Verschluss bilden. Je nachdem, wo dieser auftritt, können größere Hirnareale von einer mangelnden Blutversorgung betroffen sein.
Die Hirnblutung
Bei einer Hirnblutung (hämorrhagischer Schlaganfall) platzt ein Gefäß im Gehirn. Das austretende Blut dringt in das benachbarte Gewebe ein und nachfolgende Hirnareale werden nicht mehr ausreichend versorgt. Im Vorfeld einer Hirnblutung treten durch Arterienverkalkung bereits Schäden an den Gefäßwänden auf. Die Kombination mit einem hohen Blutdruck führt irgendwann zu einem Riss des Gefäßes.
FAZIT:
Nicht nur die unterschiedlichen Auslöser, sondern auch die Schwere des Schlaganfalls, die betroffenen Hirnregionen, sowie Alter, Geschlecht und der allgemeine Gesundheitszustand beeinflussen den Verlauf der Erkrankung. Jeder Patient hat also seine eigene Krankengeschichte, die alle Lebensbereiche betreffen können und seine Angehörigen ebenfalls enorm fordert. Wir, das Team von WIEDER ICH SEIN, möchteN Betroffene und ihre Familien auf dem Weg in ein möglichst selbstständiges Leben zuhause unterstützen.
Was können Sie als Angehörige tun?
Neben der großen Sorge um den Erkrankten, müssen Angehörige an die Zeit nach dem Klinikaufenthalt denken und den Alltag entsprechend organisieren. Unzählige Fragen tauchen auf – vom Ausfüllen des Reha-Antrages bis zur Rückkehr in das gewohnte Umfeld. Dazu kommt die Unsicherheit, wie sich der Schlaganfall langfristig auswirkt und wie Sie als Familie mit der neuen Situation zurechtkommen werden. Eine fordernde Zeit!
Dieser Ratgeber informiert Sie verständlich und umfassend. Er möchte Ihnen eine Orientierung bieten, damit Sie gemeinsam Ihren Weg zu einem zufriedenen Leben zuhause finden. Er zeigt,
- was Sie bereits während des Krankenhausaufenthalts erledigen und organisieren müssen,
- wie Sie die ersten Tage zuhause gestalten,
- worauf es in den ersten Wochen ankommt und
- welche Hilfsmittel es gibt, um mit der neuen Normalität besser zurechtkommen.
Gemeinsam das neue Leben meistern.
Gemeinsam lässt sich viel erreichen. Das bedeutet: Nehmen Sie Hilfe an und holen Sie sich die Unterstützung, die Sie brauchen – für sich selbst und für den Erkrankten. Dazu stehen Ihnen die Ärzte, Pfleger und Therapeuten des Krankenhauses zur Seite. Darüber hinaus stellt Ihnen die Deutsche Stiftung Schlaganfallhilfe auf ihrer Website umfassendes Informationsmaterial sowie Kontaktinformationen zu regionalen Selbsthilfegruppen, Pflegestützpunkten und fachlichen Ansprechpartnern zur Verfügung. Falls Sie sich lieber online mit Betroffenen austauschen, ist das Portal „Schlaganfall Info“ eine empfehlenswerte Anlaufstelle.
Hinweis:
Die Informationen in diesem Ratgeber ersetzen in keinem Fall eine ärztliche Beratung. Sie sind als Ergänzung gedacht.
Inhaltsverzeichnis
Vorbereitungen treffen: Entlassung aus dem Akutkrankenhaus
Die ersten Tage nach dem Schlaganfall verbringen die Patienten auf einer Stroke-Unit. So werden Abteilungen bezeichnet, die auf die Akut-Versorgung von Schlaganfallpatienten spezialisiert sind. Ein professionelles und erfahrenes Team aus verschiedenen Fachrichtungen wie Neurologie, Kardiologie und Chirurgie kümmert sich um die Patienten. Sie können sicher sein, dass Ihr Angehöriger dort die optimale Behandlung erhält. Sie, als enge Vertraute des Patienten, leisten dazu einen wichtigen Beitrag: Das medizinische Personal kann die Therapie am besten auf den Patienten abstimmen, wenn es seine Vorgeschichte kennt. Die wenigsten Schlaganfall-Betroffenen können diese Informationen kurz nach dem Schlaganfall selbst weitergeben. Familienmitglieder und enge Freunde sind daher die wichtigsten Ansprechpartner für Ärzte und Pflegepersonal.
Sobald die Akuttherapie abgeschlossen ist – sie dauert etwa eine Woche bis zehn Tage – beginnt die Rehabilitationsphase. Die meisten Reha-Maßnahmen finden stationär in einer neurologischen Reha-Einrichtung statt. Sprechen Sie möglichst frühzeitig mit dem behandelnden Arzt und fragen Sie ihn nach seiner Einschätzung, wann mit der Reha begonnen werden kann.
Hinweis:
Bleiben Sie entspannt, auch wenn nicht sofort klar ist, wer die Kosten für die Reha übernimmt ist. Die Krankenkassen sind verpflichtet in Vorleistung zu gehen, um anschließend mit dem tatsächlichen Kostenträger, zum Beispiel der Deutschen Rentenversicherung, abzurechnen. Sie müssen lediglich einen Antrag stellen. Der Sozialdienst des Krankenhauses unterstützt Sie dabei.
Von der Akutbehandlung in die Reha: den Übergang planen
Manchmal kann es passieren, dass der Patient aus dem Akutkrankenhaus entlassen wird und nicht direkt in die Reha-Klinik verlegt werden kann. In solchen Fällen unterstützt Sie der Sozialdienst der Klinik dabei, eine vorübergehende Versorgung des Patienten zuhause zu organisieren.
Erfahrungsgemäß bieten Nachbarn, Freunde und Verwandte häufig Unterstützung an. Hier gilt: Nehmen Sie die Angebote an, die Ihnen wirklich weiterhelfen. Falls Sie gerade keine Hilfe oder stattdessen anderweitige Unterstützung benötigen, sprechen Sie dies an. Die Situation ist für alle Beteiligten ungewohnt und schwierig. Mit ehrlichen Antworten schaffen Sie Klarheit und beugen Missverständnissen vor.
Checkliste: Vor der Entlassung aus dem Akutkrankenhaus
- Hausarzt des Patienten informieren
- Arztgespräch über Zeitpunkt und Art der Rehabehandlung führen
- Gespräch mit dem Sozialdienst des Krankenhauses führen
- Unterstützung aus dem privaten Umfeld annehmen
- ggf. Kontakt zu (Online-)Selbsthilfegruppe
Medizinische Reha nach einem Schlaganfall: ein kurzer Überblick
Die medizinische Rehabilitation teilt sich in mehrere Phasen mit unterschiedlicher Zielsetzung.
- Frührehabilitation: intensive Therapieeinheiten und aktivierende Pflege mit dem Ziel, verloren gegangene Fähigkeiten so weit wie möglich wieder herzustellen
- weiterführende Reha: weitere Mobilisierung und individuelle Förderung der Selbstständigkeit im Alltag
- Anschlussheilbehandlung (AHB): bestehende Behinderungen sollen reduziert und deren Folgen, etwa Fehlhaltungen, abgemildert werden
Neurologische Rehabilitation nutzt folgende Therapieansätze, um den Patienten wieder zu aktivieren: Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Ernährungsberatung, neuropsychologische und psychotherapeutische Methoden. Die medizinische Reha ist nach der Anschlussheilbehandlung abgeschlossen.
Vorbereitungen treffen für die Zeit nach der medizinischen Reha
Die medizinische Rehabilitation dauert mehrere Wochen bis Monate. Während dieser Phase können Sie die Rückkehr des Patienten vorbereiten. Regelmäßige Arztgespräche über den Therapieverlauf helfen Ihnen dabei. Sobald Sie einen ungefähren Entlassungszeitpunkt erfahren, können Sie einen Termin für den Patienten bei einem niedergelassenen Neurologen vereinbaren und den Hausarzt informieren. Ein Facharzt kann Sie in verschiedenen Bereichen intensiver unterstützen als der Hausarzt. Er verfügt beispielsweise über ein höheres Budget als der Hausarzt, wenn es um die Verordnung von Hilfsmitteln, weiteren Therapien oder Medikamenten geht. Darüber hinaus hat seine Stellungnahme gegenüber Kostenträgern wie Krankenkassen oder der Deutschen Rentenversicherung ein größeres Gewicht. Außerdem ist er dafür verantwortlich, notwendige ambulante oder weitere stationäre Aufenthalte zu veranlassen. Lassen Sie den Hausarzt trotzdem nicht außen vor. Der Patient profitiert von der Unterstützung beider Seiten.
Zurück ins Berufsleben?
Nur wenige Schlaganfall-Betroffene steigen nach der medizinischen Reha sofort Vollzeit ins Berufsleben ein. In den meisten Fällen kommt das berufliche Eingliederungsmanagement (BEM) zum Einsatz. Dafür wird bereits in der Reha mit dem Arbeitgeber ein Konzept zum Wiedereinstieg erarbeitet. Sind die Einschränkungen nach dem Schlaganfall umfassender, kann eine berufliche Rehabilitation notwendig und ein Antrag auf eine Erwerbsminderungsrente sinnvoll sein. Das Antragsverfahren ist aufwändig. Eine Mitgliedschaft beim Sozialverband VdK ist in jedem Fall zu empfehlen. Sie erhalten dort umfassende Unterstützung, etwa beim Ausfüllen der Anträge und der weiteren Kommunikation mit dem zuständigen Kostenträger.
Das Wohnumfeld gestalten und organisieren: Wohlfühlen und Zuhause-Sein
Das Leben in den eigenen vier Wänden mit größtmöglicher Selbstständigkeit ist nicht nur ein Ziel der Reha-Maßnahmen – für die Betroffenen bedeutet es ein hohes Maß an Lebensqualität. Die wiederum wirkt sich positiv auf die weitere Genesung aus. Auf das Thema Pflegebedürftigkeit gehen wir noch ein. An dieser Stelle beschäftigen wir uns mit kleineren, aber sehr wirkungsvollen Maßnahmen.
Das Ankommen im Alltag und die weitere Genesung erfordern viel Kraft und Disziplin. Es kann deshalb sinnvoll sein, während der ersten Wochen die Hausarbeit auszulagern und sich primär um das organisieren des neuen Lebens zu kümmern. Untersuchungen des Robert-Koch-Instituts haben ergeben, dass soziale Kontakte zu den wichtigsten Säulen der Gesundheit zählen. Fragen Sie den Betroffenen, welche Menschen er gerne treffen würde und informieren Sie diese Freunde, Arbeitskollegen oder Sportkameraden über die Rückkehr des Patienten. Kurze Besuche, Small-Talk oder ein Kartenspiel bringen Normalität ins Leben und geben neue Kraft.
Das gilt auch für einfache Anpassungen in der Wohnung: Erhöhung des Toilettensitzes, ein Gehstock in Treppennähe, ein passendes Kopfkissen – die Möglichkeiten sind vielfältig. Gerne beraten wir Sie ausführlich zu diesem Thema und informieren Sie, welche Kosten die Kranken- oder Pflegekassen übernehmen.
Checkliste: Vor dem Ende der medizinischen Reha
- Hausarzt des Patienten informieren
- Terminvereinbarung bei einem niedergelassenen Facharzt für Neurologie in Wohnortnähe
- Mitgliedschaft beim Sozialverband VdK beantragen
- ggf. Reinigungskraft engagieren
- ggf. Freunde und Bekannte des Patienten informieren und einbinden
- Beratung zu Anpassungen im Wohnumfeld
Wieder zuhause: die neue Normalität
Die wenigsten Betroffenen nehmen nach einem Schlaganfall ihr altes Leben einfach wieder auf. Auch wenn in seltenen Fällen die Folgen überschaubar bleiben und der Patient in seinen gewohnten Alltag zurückkehren kann, verändert die Erfahrung eines Schlaganfalls den Menschen. Oft gewinnt er eine neue Perspektive auf das Leben und ändert seine Prioritäten. Solche Prozesse sind normal, die Psychologie spricht von posttraumatischem Wachstum. Diese Veränderungen sind eine große Chance. Nutzen Sie sie gemeinsam für neue Wege.
Die eben beschriebene Entwicklung steht grundsätzlich allen Patienten offen. Damit Sie Ihren neuen Alltag optimal organisieren und bestmöglich damit zurecht kommen, zeigen die folgenden Abschnitte Schritt für Schritt, wie Sie dabei vorgehen.
Die ersten Tage: Zuhause ankommen
Wenn Ihr Angehöriger nachhause kommt, ist das ein wichtiger Schritt zurück ins Leben. Während der ersten Tage sollten Sie sich selbst und den Heimkehrer nicht überfordern. Gehen Sie es langsam an und planen Sie nur die wichtigsten Therapie- und Arzttermine fest ein. Fragen Sie nach, wenn Sie unsicher sind. Offen miteinander zu reden ist in dieser Phase sehr wichtig – schließlich müssen sich alle Beteiligten an die neue Situation langsam gewöhnen.
Die ersten Wochen und Monate: weitere Therapie und neue Normalität
Die Entlassung aus der Reha bedeutet nicht, dass die Therapie abgeschlossen ist. Die Eigenständigkeit im Alltag soll weiter ausgebaut werden und das Leben gewinnt eine neue Struktur. Finden Sie eine gemeinsame Linie für Ihre Unterstützung. Fragen Sie sich immer wieder: Wie viel Hilfe ist gewünscht und notwendig? Zur Orientierung fragen Sie Therapeuten und Ärzte nach deren Einschätzung. Und: Vergessen Sie sich selbst nicht. Sie als Angehöriger eines Schlaganfall-Patienten sind sehr gefordert. Nehmen Sie sich Auszeiten und sorgen Sie gut für sich. Der Austausch mit anderen Angehörigen kann hier sehr hilfreich sein.
Nun stehen weitere wichtige Entscheidungen an: Wollen oder müssen Sie Umbaumaßnahmen durchführen, damit das Leben in den eigenen vier Wänden weiterhin möglich bleibt? Wir von wieder-ich-sein möchten Sie dabei unterstützen, dass der Betroffene möglichst lange und möglichst eigenständig zuhause leben. Wir beraten Sie auch zu den Fragen rund um die Finanzierung.
Möglicherweise denken Sie darüber nach, ob ein Antrag auf eine Pflegestufe infrage kommt. Der Sozialverband VdK kann Sie bei der Antragstellung unterstützen. Auf der Website der Verbraucherzentrale finden Sie einen grundlegenden Überblick über den Ablauf von der Antragstellung bis zur Kostenzusage.
Eigenständigkeit schafft Lebensfreude
In jedem Fall sollten alle Maßnmahmen auf das Ziel ausgerichtet sein, die Eigenständigkeit des Betroffenen im medizinisch möglichen Rahmen weiter zu erhöhen, zu stärken und so lange wie möglich zu erhalten. Damit leisten Sie einen wertvollen Beitrag.
Wir wünschen Ihnen alles Gute und viel Kraft für Ihren Weg!
Checkliste: Die neue Normalität gestalten
- Mobilisierung und Eigenständigkeit weiter erhöhen
- Austausch mit Betroffenen ermöglichen: Selbsthilfegruppen, Internetforen etc.
- Austausch mit Angehörigen von Schlaganfall-Patienten für Sie selbst
- Selbstfürsorge aktiv betreiben
- Beratung Wohnungsumbau
- ggf. Pflegestufe beantragen
Hier können Sie sich auch die Checkliste Ratgeber Schlaganfall kostenlos herunterladen: Download Checkliste Schlaganfall
Quellen:
Busch, Markus A. & Kuhnert, Ronny (2017): 12-Monats-Prävalenz von Schlaganfall oder chronischen Beschwerden infolge eines Schlaganfalls in Deutschland. Journal of Health Monitoring, 2017 2 (1), S. 70 – 76. abgerufen am 23.12.2021: https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/
GBEDownloadsJ/FactSheets/JoHM_2017_01_gesundheitliche_lage5.pdf?__blob=publicationFile
Schlaganfall Online-Portal mit Selbsthilfe Forum: https://www.schlaganfall-info.de
Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe: https://www.schlaganfall-hilfe.de
Sozialverband VdK: https://www.vdk.de/deutschland/
Pflegegrad beantragen: Verbraucherzentrale informiert: https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/gesundheit-pflege/pflegeantrag-und-leistungen/pflegegrad-beantragen-so-gehts-13413
Hänssler, Boris (2018): Hoffnung als Medizin. In: Psychologie Heute 8/2018, S. 28 – 33. Beltz-Verlag.
Borgmann, Lea-Sophie et al. (2017): Soziale Unterstützung als Ressource für Gesundheit in Deutschland. Journal of Health Monitoring, 2017 2 (1), S. 117 – 122. abgerufen am 23.12.2021: https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/2909/21IvfnhmlJb0g.pdf?sequence=1&isAllowed=y